Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen

Eine Reise zur erfolgreichen Führungspersönlichkeit

Aus dem Alltag einer Führungskraft: Frau Schmidt ist genervt. Sie hat eine Aufgabe an ihr Team delegiert und stellt nun fest, dass die Teammitglieder ganz anders an die Sache herangehen, als Frau Schmidt es tun würde. „Warum sammeln die denn jetzt erst Stichpunkte auf einer Mind-Map? Sind Ihnen die wichtigen Punkte nicht klar? Das ist doch jetzt wirklich gerade Zeitverschwendung! Und warum nutzen die kein Excel? Wann lernen sie denn endlich, organisiert an Probleme heranzugehen?“, denkt sie gereizt und beginnt – bewusst oder unbewusst, verbal oder non-verbal, damit ihrem Team zu signalisieren, dass sie unzufrieden mit der Herangehensweise ist.

Das Ergebnis: Zuerst sinkt die Stimmung, danach der Arbeitseinsatz, die Performance leidet. Die Teammitglieder sind von Frau Schmidt genervt und umgekehrt. Das Arbeitsresultat ist höchstens mittelmäßig. „Da müsst ihr aber noch einmal ran. Und dieses Mal bitte so, wie ich es Euch sage“. Zu ihren eigentlichen Aufgaben als Führungskraft ist Frau Schmidt nicht gekommen. Zu sehr war sie damit beschäftigt, ihren Teammitgliedern zu zeigen, wie sie die Aufgabe – aus ihrer Sicht – anzugehen haben. Was Frau Schmidt nicht bemerkt: Sie ist mit voller Wucht in die Bewertungsfalle, und dem damit verbundenen Werteverzehr, getreten.

Können Fische klettern?

In die Bewertungsfalle treten wir regelmäßig, weil wir glauben zu wissen, wie „es richtig geht“. Sei es beim Entfachen der Holzkohle auf der Grillparty (glauben Sie mir, dabei gibt es einige Versionen von „richtig“), bei der Kindererziehung oder eben bei der Lösung von Aufgaben im Unternehmen. Das ist normal: Wir schauen mit unseren eigenen Augen, aus unserer Perspektive, auf die Welt. Und unsere Augen sehen das, was sie durch persönliche Erfahrungen, Prägung und Gene mitbekommen haben. Was für Frau Schmidt die „richtige“ Herangehensweise ist, kann für ihre Mitarbeitenden ein unnötiger Umweg sein – und umgekehrt. Diese Einordnung ist eine Frage der Persönlichkeit, der Prägung und der individuellen Wahrnehmung.

Frau Schmidt bewertet die aus ihrer Sicht andersartige Herangehensweise ihrer Mitarbeitenden negativ – was zu einer Reihe unschöner Verkettungen führt. Mit Wertungen anderer tun wir in der Regel weder den Bewerteten, noch uns selbst einen Gefallen. Als Führungskräfte stoßen wir im Bewertungs-Modus regelmäßig Mitarbeitenden vor den Kopf und distanzieren uns von Kolleginnen und Kollegen – oder sie sich von uns. Darunter leidet das Arbeitsklima: Geringere Motivation, weniger Freude und Engagement. So können Verantwortliche eine Kettenreaktion auslösen, die bis zur (emotionalen oder kündigungsbedingter) Abwanderung von Leistungsträgern führen kann. Wer als Führungskraft seine Leute regelmäßig nach eigenem Maßstab bewertet, kann sich genauso gut über Fische aufregen, weil diese nicht klettern können. Und auf diese Idee würden Sie sicher nicht kommen, oder?

Gute Führung lässt Andersdenken zu, fördert und wertschätzt sie!

Es birg ein hohes Konfliktpotenzial im Unternehmen, wenn Verantwortliche denken, ihre Belegschaft müsse alles genauso sehen, verstehen und bewältigen, wie sie selbst. Denn: Es funktioniert nur selten, dass meine eigene Lösung und Strategie zufällig auch die der Teammitglieder sind. In solchen Fällen ehrlich offen zu sein und die andere Herangehensweise als Chance (und Wettbewerbsvorteil!) zu be- und ergreifen, das unterscheidet u.a. eine „normale“ Führungskraft von einer richtig guten Führungspersönlichkeit! Letztere wissen, dass es förderlich für das Unternehmen ist, wenn Teammitglieder andere Weltsichten haben, diese miteinander teilen und dadurch zu wertschöpfenden Lösungen kommen. Das spricht für eine reflektierte und moderne Führungshaltung. Eine Haltung, die Sie erlangen können, wenn Sie sich mit Ihren eigenen Werten und Bewertungsmustern auseinandersetzen. Hier lautet der Grundsatz: Kenne dich selbst, dann fällt es dir leichter andere kennen zu lernen, zu verstehen und tolerant mit ihnen umzugehen.

Kennen Sie Ihre Werte?

Wann haben Sie sich das letzte Mal bewusst mit diesen (oder ähnlichen) Fragen auseinandergesetzt:

  • Worauf lege ich Wert?
  • Was ist mir wirklich wichtig im Leben?
  • Was ist für mich „normal“?
  • Welche Einflüsse haben mich geprägt?
  • Unter welchen Rahmenbedingungen habe ich gelernt?
  • Welche Menschen waren dabei entscheidend?

Über die Fragen „Wer bin ich?“ und „Warum handle ich so, wie ich handle?“ denken Führungskräfte im Tagesgeschäft leider immer noch selten nach. Diese Selbstreflexion ist aber der Schlüssel dazu, mit sich selbst und mit anderen besonnener, klüger und damit erfolgreicher umzugehen. Führung beginnt nun mal bei mir selbst.

Erfolgsfaktor Vielfalt

Wer sich selbst versteht, kann auch andere besser verstehen! Erfolgreiche Führungspersönlichkeiten setzten sich nicht nur mit ihren eigenen Werten auseinander, sondern auch mit den Werten ihrer Mitarbeitenden: Wo kommen meine Leute her? Demographie, soziale Herkunft, Bildungshintergrund und Karriereweg spielen eine wichtige Rolle, um gemeinsame Werteschnittmengen erarbeiten zu können. Reflektierte Führungskräfte fördern Vielfalt im Team – und stellen gelichzeitig gemeinsame einen Rahmen auf, wie die Teammitglieder trotz Unterschiedlichkeit miteinander umgehen wollen. Vielfalt ist eine wichtige und oft unterschätze Ressource: In einer zunehmend komplexen Wirtschaftswelt brauchen Unternehmen und Teams die Vielfalt an Erfahrungen, Kompetenzen, Zukunftsbildern und Weltanschauungen ihrer Belegschaft.

Fazit

Es ist in meinen Augen vollkommener Bullshit, andere ändern zu wollen! Wer die Unterschiedlichkeiten von Menschen im Unternehmen dagegen als Chance begreift, kann mit zwei positiven Effekten rechnen: Mit einer Unternehmenskultur der gegenseitigen Akzeptanz und Aufrichtigkeit. Und mit mehr Produktivität. Die McKinsey-Studie „Leistung durch Vielfalt“ von 2018 stellt das anschaulich dar. Und Führungskraft Frau Schmidt? Die würde gelassener im Unternehmen auftreten, inspirierend auf ihr Team wirken und deutlich bessere Ergebnisse erzielen.

Was meinen Sie?

Sind Sie anderer Meinung? Dann freue ich mich auf Ihre Kommentare, die ich, so weit wie möglich, gerne beantworte – ohne Sie gleich ändern zu wollen :-)

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Xing-Insider-Artikel-Sammlung von Nele Kreyßig am 30. März 2020

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