WANTED: Authentizität in der Arbeitswelt!

„Nele, das ist fachlich und methodisch alles top, aber ich fühle dich nicht…“ Was ist das denn bitte für ein Feedback? Es geht doch in meinem Job um fachliche und methodische Exzellenz! Und dafür war ich doch schließlich hier, in meiner Ausbildung zur Business Trainerin! „Fühlen“? Pfff…

Nele Kreyßig über Authentizität in der Arbeitswelt

Vor einigen Jahren erreichte mich dieses Feedback meiner Ausbilderin. Ich hörte es. Ließ es sacken. Ärgerte mich. Fand die Ausbilderin doof. Vergaß es wieder und freute mich über mein methodisches & fachliches Lernen & Wachstum.

Heute ist meine damalige Reaktion sehr logisch für mich. Meine ersten 10 Berufsjahre waren u.a. geprägt von Bildern, in die ich mich reinzupressen versuchte, annehmend, das müsse so sein. So funktioniere die Arbeitswelt. Frau (Mann natürlich auch!) muss hart sein, um ernst genommen zu werden und professionell & kompetent zu wirken. „Hier würde ich lieber keine Röcke anziehen!“ Der Satz einer jungen Kollegin im Jahr 2005 war einer von vielen prägenden Momenten in dieser Richtung. Ich reagierte schnell, wollte ja unbedingt dazu gehören, bei so wenig Ablehnung wie möglich. Meine Röcke wichen Nadelstreifenanzügen. Gefühle hatten in diesem Zielbild keinen Platz. Wobei, das ist so nicht ganz richtig. Einige Gefühle waren sehr erlaubt! Freude über einen richtig fetten Deal. Motzen über einen Wettbewerber, der sich klug im Markt positionierte. Aber Angst? Scham? Traurigkeit? Unsicherheit? All das war natürlich da! Doch es wurde nicht gezeigt. Auf keinen Fall. Doch nicht im Job!

Authentizität oder Anpassung?

Ich passte mich an und war damit recht erfolgreich. Jedenfalls im Außen. Machte mich das Bild, in das ich mich rein zwängte, glücklich? Diese Frage stellte ich mir gar nicht. Ich tat es einfach.

Mir ist bewusst, dass das Bild, was ich oben beschreibe, in einigen Unternehmen und Kulturen weiterhin existiert und tausende von Berufseinsteiger/innen noch heute ähnliches Erleben (in ihren Berufswelt-prägenden Jahren!) und sich – natürlich – anpassen. Da spricht prinzipiell auch nichts dagegen, wenn wir uns über die Konsequenzen bewusst sind und uns freiwillig dafür entscheiden. Denn das, was bei diesem verbiegen passiert, ist in meinen Augen recht tragisch. Wir verlieren uns selbst. Sind nicht „echt“. Damit verlieren wir im schlimmsten Fall den Zugang zu unseren Bedürfnissen, zu unseren Talenten, Potenzialen und zu dem, was uns ausmacht. Das hat natürlich mittelfristig einen erheblichen Einfluss auf Faktoren wie Motivation und Gesundheit.

Authentizität vs. Unternehmenskultur?

Wir wählen ein unauthentisches Auftreten, weil wir damit vermeintlich besser in die Unternehmenskultur passen. Wir versuchen so, Ablehnung zu vermeiden. Denn Ablehnung ist hart. Sehr hart. Doch was ist eigentlich Authentizität? Dabei geht es darum „echt“ zu sein. Sich zu zeigen, mit dem, was eh da ist. Wenn wir Menschen die Frage stellen, welche Personen für sie inspirierend sind, dann erfahren wir viel über Authentizität. Wer sind eure Vorbilder? Welchen Personen folgen wir gerne? Sind es die authentischen? Oder die unauthentischen?

Wem vertrauen wir mehr?

Authentische Menschen zeigen sich unvollkommen. Sie zeigen sich menschlich. Und sind damit greifbarer und besser einzuordnen. Der Effekt ist magisch. Wir vertrauen authentischen Menschen stärker als den unauthentischen. Unauthentische Personen hinterlassen oft ein diffuses Bauchgefühl in uns. Irgendwas stimmt da nicht. Wir wissen wir nicht, woran wir sind, wir vertrauen weniger.

Gerade in der modernen Arbeitswelt ist es so wichtig, Vertrauen zu schaffen. Hybride Teams sind (so zumindest unsere Hypothese) die Zusammenarbeit der Zukunft. Ein Mehr an Digitalisierung und räumlicher Distanz zieht automatisch einen größeren Bedarf nach Vertrauen und Raum für Menschlichkeit mit sich. Und Vertrauen entsteht u.a. über Gemeinsamkeiten und sich echt-zeigen. Wenn es Führungskräften und Mitarbeitenden gelingt, eine solche Kultur zu schaffen, dann werden sie u.a. folgendes erleben:

  • Eine innovations- und lehrreiche Fehlerkultur. Weil ich das Vertrauen habe, dass nicht Personen „Schuld“ an Fehlern sind, sondern Prozesse. Und weil ich keine Erniedrigung/ Ablehnung fürchten muss. Weil sogar meine Führungskraft Fehler macht und dazu steht.
  • Durch Vertrauen (und klar kommunizierte Kommunikations- und Abstimmungsanforderungen) ist weniger Kontrolle nötig und der für Zufriedenheit und Eigenverantwortliches Handeln benötigte Freiraum wird möglich.
  • Vertrauen führt zu Bindung zwischen Menschen. Und diese Bindung ist erwiesenermaßen viel wichtiger als Gehalt und/ oder der dicke Firmenwagen. Wir sprechen also gleichzeitig von Arbeitgeberattraktivität.

So weich das Thema „Authentizität“ klingen mag, die oben genannte (unvollständige!) Aufzählung zeigt, wie Kennzahlen-relevant es ist.

Wieviel Gefühl kann ich im Job zeigen?

„Ich bin doch hier im Job, da gehören doch keine Gefühle hin!“ Wann zeige ich nun mein „echt sein“ und wann nicht? Hierfür habe ich einen einfachen Gedankengang für dich:

  1. Du fühlst etwas (z.B. Freunde, Angst, Kummer, Unsicherheit, Hoffnung, Dankbarkeit, Intoleranz, Verbundenheit, Schuld, Misstrauen, Mut, Euphorie… )
  2. Du fragst dich, ob dein Gefühl eine Auswirkung auf deine Rolle hat und/ oder das Teilen deines Gefühls einen Mehrwert für dein Umfeld hat. Ja? Dann frage dich, ob dein Gefühl (er)tragbar ist, für dein Umfeld. Nein? Dann behalte es lieber für dich und finde in einem anderen Kontext (Privatleben etc) Raum dafür. Deine Antwort ist weiterhin „ja“? Wunderbar, dann lohnt es sich, dein Gefühl zu teilen!
    Doch wie schaffe ich es, „echt“ zu sein, ohne zu emotional zu werden?

Ein Satz, den ich von meinem Kollegen Alexander Grünberg hörte, der mir hierfür enorm hilft lautet sinngemäß so:

„Sprich nicht aus dem Gefühl heraus, sondern über das Gefühl!“

Das macht einen großen Unterschied, ob ich aus der Angst heraus spreche (mit noch bebender Stimme) oder mitteile, dass mich eine Situation verunsichert hat, aus diesen und jenen Gründen.

Ich bin kein Fan davon zu sagen „sei bitte immer authentisch“. Ganz im Gegenteil! Es gibt Momente, in denen ich ganz klar von Authentizität abrate und für Impulskontrolle und Emotionsregulation plädiere und die Rolle es auch manchmal gar nicht anders erlaubt. Z.B. wenn eine Führungskraft schon weiß, dass ein Teil der Abteilung entlassen werden wird, das Ganze aber erst in zwei Wochen kommuniziert werden soll. Die Führungskraft ist ggf. darüber traurig. In diesem Fall verbietet es die Rolle, in diesem Moment damit authentisch dem Team gegenüber umzugehen. Es gehört zur Rolle dazu, das Gefühl (so gut es eben geht) vor dem Team zu verbergen.

Zum Thema Authentizität in der Arbeitswelt habe ich einen Wunsch:

Dass wir Authentizität als große Chance in moderner Unternehmenskultur ansehen und in Momenten von Emotionen die Wahl haben, ob wir sie zeigen oder nicht (dabei hilft der oben gezeigte Gedankengang). Die Wahl haben heißt, ich habe die Fähigkeit und ich traue mich, mich echt zu zeigen und gleichzeitig reflektiere ich, ob es in diesem Moment angebracht/ nützlich ist, mich zu öffnen.

Authentizität ist ein lebenslanger Lernprozess. Lasst uns diesen Lernpfad gemeinsam betreten (nach dem Motto: Zusammen ist weniger allein).

Ich lade zu einem ersten Schritt ein. Was hast du in den letzten Wochen gefühlt (im Job oder privat), was du nicht authentisch gezeigt/ mitgeteilt hast, obwohl es (siehe Gedankengang oben) ggf. gut für dich und/oder dein Umfeld gewesen wäre? Durch das offen zeigen, übst du genau das, was Authentizität ausmacht: Dich unvollkommen zeigen!

Ich fange direkt an: Ich hatte vor einiger Zeit ein Interview mit dem Spiegel und war ziemlich aufgeregt (DER SPIEGEL!). Als der Redakteur anrief, tat ich super souverän und so, als sei das für mich total normal. Damit verschwendete ich Kraft, da ich mich verstellte. Im Nachhinein wäre es für mich total gut gewesen am Anfang zu sagen „ich gebe zu, ich bin ein bisschen nervös“. Das hätte mich entlastet und vielleicht sogar zu einem sehr menschlichen Start geführt. Jetzt bist du dran, ich freue mich auf deine Geschichten! Markiere mich gern auf LinkedIn oder anderen Social Media Netzwerken (@nelekreyssig).

Deine Nele

PS: Wir haben eine 2-teilige Podcastserie zu diesem großen Thema veröffentlicht. Wenn du also noch mehr dazu erfahren magst, warum Authentizität eine Schlüsselfähigkeit ist, was damit konkret gemeint ist und du sehr praxisnahe Tipps haben magst, wie du Authentizität üben kannst, dann höre doch mal rein (Folgen #011 und #012): https://www.herzundhirn.de

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